Moral Hazard ante portas

Moral Hazard ante portas

In der Bewältigung der Corona-Krise besteht eine relativ breite Einigkeit darüber, dass ein staatlich verordneter Druckabfall noch nie gesehenen Ausmasses mit wirtschaftlichen Massnahmen gleichartiger Dimension neutralisiert werden müssen. Nachdem in Rekord-Tempo und mit einem erfrischenden Pragmatismus ein Kreditmechanismus konstruiert wurde, um viele Schweizer Unternehmen vor der Illiquidität zu retten, ist nun die Zeit gekommen, sich Gedanken über die Rückabwicklung und die Zeit nach dem Corona-Modus zu machen, denn die aktuelle Situation ist wirtschafts-, ja gesellschaftspolitisch brandgefährlich. Staaten übernehmen faktisch grosse Teil der unternehmerischen Risiken nicht nur einer Branche, sondern einer Volkswirtschaft. Ein noch nie dagewesener Vorgang. Die Gefahr für Moral Hazard, für das System ausnützendes Verhalten, ist massiv. Zudem wird auch die politische Linke versuchen, aus der Krise Kapital für ihre Anliegen zu schlagen. Betrachtet man sich die generelle geopolitische Lage vor dem Ausbruch der Corona-Krise, muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, dass sich die Welt schon vorher in einer fragilen Lage befunden hat. Lokale und globale Konflikte politischer oder wirtschaftlicher Natur, Cyber-Gefahren, Bio-Gefahren und Migrationsströme destabilisieren die Welt weiter und werden uns früher oder später (wieder) beschäftigen. Die Schweiz muss sich also wappnen. Wie? Erstens mit einer Renaissance der bürgerlichen Tugenden und damit auch der Marktwirtschaft. Zweitens mit Anreizen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit («Resilienz») der Wirtschaft.

Als Erstes fällt der Politik die wichtige Aufgabe zu, den Wählern aufzuzeigen, dass Werte wie Eigenverantwortung, Unternehmertum, Subsidiarität, Gemeinsinn und gesunde Staatsfinanzen eine Gesellschaft stark und widerstandsfähig zu machen. Wir müssen vom «Ideal der komfortablen Stallfütterung» (Wilhelm Röpke) wegkommen und wieder die Mündigkeit der Bürger als Idealbild haben. Denn: Noch funktioniert der Staat. Was passiert, wenn er auch noch ausfällt? Wer schaut dann zu uns? Keine Frage: Wir selbst! Die Stärkung der bürgerlichen Tugenden führt auch zu einer Stärkung des marktwirtschaftlichen Systems. Die Marktwirtschaft bildet die Basis für eine robuste und prosperierende Gesellschaft, welche im Stande ist, Krisen zu bewältigen. Zentralismus und Kollektivismus – wie wir es aktuell im Notfall-Modus sehen – schwächen ein System auf Dauer. «Das liberale Wirtschaftssystem nutzt und entbindet die in dem individuellen Selbstbehauptungsdrang liegende ausserordentliche Kraft, während das sozialistische sie unterdrückt und sich selber im Kampfe gegen sie aufreibt» schrieb eben dieser Röpke 12 Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Marktwirtschaftliche Systeme sind widerstandsfähig, weil der Markt der Ideen Innovation und Vielfalt fördert und wirtschaftliche Anreize dazu führen, dass das System produziert, was gebraucht wird, nicht was verordnet wird.

Der clevere, liberale Staat setzt – als zweite Komponente – die Anreize für die Wirtschaftssubjekte schliesslich so, dass umsichtiges Verhalten und Unternehmertum belohnt werden (und vice versa). Moral Hazard entsteht ja erst deshalb, weil es eine Versicherung, also jemand, der den Schaden bezahlt, gibt. Wenn die Wirtschaftssubjekte wissen, dass der Staat im Falle einer Krise eingreifen wird, weil die individuelle Bedeutung des Subjekts oder die Anzahl betroffene Subjekte so gross sind, ist der Nährboden für ein übermässig riskantes Verhalten gelegt. Die öffentliche Hand kann Moral Hazard eindämmen, indem sie dafür sorgt, dass sie gar nicht eingreifen muss, weil die Wirtschaft oder die Wirtschaftssubjekte stark genug sind, um Krisen eines gewissen Ausmasses zu überstehen. Da der Mensch ein eigennütziges Wesen ist, muss der Staat dafür schauen, dass insbesondere Unternehmen Reserven anlegen, um eine gewisse Zeit ohne oder mit nur geringen Einnahmen leben zu können. Die archaische Methode des Anlegens von Reserven kann vorgeschrieben werden oder – noch besser – steuerlich begünstigt werden. Schliesslich und ergänzend braucht es ein klares Bekenntnis der öffentlichen Hand zum Prinzip des «skin in the game», welches besagt, dass Anreize gesteuert werden, indem die Wirtschaftssubjekte etwas (ihre «Haut») zu verlieren haben. Konkret bedeutet dies, dass nicht geholfen wird, wer nicht vorgesorgt hat.

Mit solchen Prinzipien würde beispielsweise auch das moralisch fragwürdige und kurzsichtige Verhalten verhindert, dass gewisse Firmen bei Krisen nach dem Staat rufen, weil sie im Tiefzinsumfeld Obligationen emittiert haben, um mit den gewonnenen Mitteln Aktien zurückzukaufen, anstatt Reserven zu halten.

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