Fachartikel Oktober 2020 | Next Generation Finance

Fachartikel Oktober 2020 | Next Generation Finance

Verschiedene Angebotstrends prägen in den vergangenen Jahren die globale Bankenlandschaft. Nachdem Banken lange Zeit nicht durch eine bemerkenswerte Innovation aufgefallen sind, weil sie mit sich selbst und der Umsetzung von regulatorischen Vorgaben beschäftigt waren, hat das in den letzten 5 Jahren geändert. Die Finanzkrise hat – etwas verzögert – sowohl in der Finanzbranche, als auch bei der Kundschaft verschiedene Denk- und Handlungsprozesse ausgelöst, welche aufzeigen, in welche Richtung das Thema «Personal Finance» gehen kann. Im Folgenden wird ein Blick in die Zukunft gewagt.

Technologie

Die Kunden von morgen verfügen momentan vielleicht noch nicht über die grossen Vermögen, um für die Vermögensverwaltungs-Abteilungen («Wealth Management») interessant zu sein. Es ist aber eine Frage der Zeit, bis grössere Vermögen an eine Generation vererbt wird, welche technikaffin ist. Diese Generation ist es sich gewohnt, die Welt in der Hosentasche respektive dem Smartphone zu haben. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Erkenntnis ist mehr, dass der Zugang zum Banking ein anderer sein wird. Der Erfolg der Ökosysteme von Apple und Google beruht darauf, dass man mit einem single-sign-on, also mit einem einzigen Passwort in seine eigene digitale Welt in der Cloud eintauchen kann: Ein Eingang, die ganze Welt.

Heutzutage sind die Konsumenten noch geduldig und bereit, ihre finanziellen Angelegenheiten bei verschieden, technisch separat operierenden Anbietern am Laufen zu haben. Next Generation Finance bedeutet nun, dass es den Finanzdienstleistern gelingen muss, den Kunden ein integriertes Ökosystem für ihre Finanzen anzubieten. Man kann es den «Europapark der Finanzen» nennen. Man bezahlt einmal Eintritt und begibt sich in ein System, in welchem man nach Lust und Laune seine Informationen beschaffen und Transaktionen tätigen kann, ohne ständig wieder Eintritt bezahlen oder sich einloggen zu müssen. Es gibt keine Medienbrüche, da die Benutzeroberfläche ein integriertes Medium darstellt. Die verschiedenen Angebote sind zudem aufeinander abgestimmt. Die Säule 3a- oder Hypotheken-Systeme beispielsweise sind miteinander vernetzt und merken, wenn der Kunde oder die Kundin noch Handlungsbedarf hat. Ein entsprechendes Benachrichtigungssystem macht einen darauf aufmerksam. Summa summarum: Die Banken müssen versuchen, die Kunden in ihr Ökosystem, auf ihre Plattform zu lotsen. Wer das einfach zu bedienende, mitdenkende Ökosystem anbietet, hat in Zukunft gute Karten, Marktanteile zu gewinnen. Die Bereitschaft vieler Technologieanbieter und Banken, in ein «Open Source»-Regime zu wechseln, wird diese Entwicklung erfreulicherweise begünstigen. Hinter den Kulissen ist eine verstärkte Kooperation gefragt, damit der «Finanzpark» für Kunden möglich wird.

Marken

Vor der Kulisse muss versucht werden, seine Marke so zu positionieren, dass man von den jüngeren, künftigen Kunden als verlässliche, moderne Finanzpartnerin wahrgenommen wird. Finanzdienstleister müssen nicht mehr nur Dienstleistungen auf eine zuverlässige und preislich attraktive Weise erbringen. Sie müssen für die Kundschaft der Zukunft klare Werte vermitteln. Das haben sie in der Vergangenheit auch schon versucht. Der entscheidende Punkt hierbei ist aber die Glaubwürdigkeit. Wenn eine Firma die in Werbebroschüren dargestellten Werte nicht in der DNA trägt, sind diese in unserer ubiquitären, omnipräsenten Welt, in welcher alles und jenes jederzeit per Sprachbefehl auf dem Smartphone abrufbar ist, nicht glaubwürdig. «Walk the talk» lautet das Motto. So abgedroschen es klingen mag: Werte müssen vorgelebt werden, um geglaubt zu werden. Dafür braucht es keine Tochterfirmen mit einer hippen Positionierung und trendigen Namen. Es reicht, wenn sich die gestandene Muttergesellschaft ernsthaft so verhält, wie sie sich geben will. Die langjährigen Kunden werden sich deshalb nicht vom Institut abwenden, aber man öffnet der kommenden Generation von vermögenden Kunden jetzt schon die Tür.

Meinungen

Die gleiche, zukünftige Wealth Management-Generation ist nicht nur technikaffin, sie hat auch pronocierte Meinungen zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen. Nur weil die Kunden mit dem Kapuzenpulli durch die Strasse laufen, bedeutet das nicht, dass sie sich nicht für Finanzen interessieren. Ganz im Gegenteil. Ein Ausfluss der Corona-Krise ist, dass sich die jüngeren Generationen – endlich, und aufgeschreckt durch nicht allzu rosige Szenarien – mit ihrer eigenen finanziellen Zukunft und dem Thema Vorsorge zu beschäftigen beginnen.

Bekanntermassen ist das Thema der Nachhaltigkeit unter dem Akronym «ESG» im Angebot der Schweizer Finanzdienstleister angekommen. Mit der Ausrichtung des Serviceangebotes auf diese Entwicklung ist es aber noch nicht gemacht. Die Kunden sind im Vergleich zu früher besser informiert und fordern damit die Kundenberater stärker heraus. Die Finanzbranche ist mit starken Meinungen konfrontiert. Damit muss sie umgehen können. Ob dies allen Repräsentanten von Finanzinstituten behagt, ist zu bezweifeln, denn die Entwicklung wird noch weiter gehen.

Ein Beispiel: Börsenkotierte Firmen müssen sich darauf vorbereiten, dass private Aktionäre in Zukunft zur Wahrnehmung ihres Stimmrechts mithilfe von «Proxy Tech» stärker durch das Wertschriftendepot bei ihrem Finanzinstitut «hindurchgreifen», um ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. In der Politik ist diese Entwicklung angekommen. In der Aktionärsdemokratie noch nicht. Es würde nicht überraschen, wenn dereinst «Proxy Tech» ermöglicht, dass sich Aktionäre in Zukunft besser gruppieren, artikulieren und entsprechend auch einen «Impact», also eine Wirkung erzielen wollen und können. Stimmrechtsberater werden von Proxy-Tech-Plattformen Konkurrenz erhalten.

Die nächste Generation von Kunden ruft also nach der nächsten Generation von Finanzdienstleistungen. Gut beraten ist, wer davor nicht die Augen verschliesst und jetzt agiert – und sich damit differenziert.

 

AG – 30. Oktober 2020

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